Dienstag, August 1

I know you.. do I?

In letzter Zeit schwirren Gedanken durch meinen Kopf, die nicht grade witzig sind. Eher traurig.
Eine Menge Menschen lesen diesen Blog, die nichts mit meinem Leben zu tun haben und die mich nicht wirklich kennen. Sie kennen nur das böseartige, immer gegen den Strom schwimmende Mädel, dass mit Unfreundlichkeit um sich wirft und trotz dessen wohl irgendwie gemocht wird. Ob das nun daran liegt, dass ich Brüste habe? Ich glaube schon. Aber das ist mir grade egal.
Ich vermisse meinen Bruder Tim so fürchterlich. Ich habe Angst um ihn und möchte ihn am liebsten sofort zu mir holen, mit ihm Dinge tun, die 17jährige tun sollten.
Mein Bruder sitzt dort alleine in seinem Zimmer bei seinem Dad und spielt den ganzen Tag am PC. Er war noch nie betrunken, hat eine Zigarette geraucht oder war mal unterwegs in einer Discothek. Er ist nen hübscher Kerl, auch nicht dumm. Aber ich glaube er bezahlt den Preis, der mir zustand.
Ich kenne meinen Vater nicht, ich weiss nicht wer er war und wie er war. Ich weiss von ihm, dass er sehr begabt war - Zahlen waren seine Leidenschaft. Meine Mum war Legasthenikerin, bekam das erst im Laufe ihrer Berufskarriere in den Griff. Der Vater von meinem Bruder hat auch eine Lernschwäche. Keine guten Vorraussetzungen für Tim.
Meine schulische Karriere fing ziemlich vielversprechend an. Ich war in der Grundschule immer Klassenbeste, ich war zutraulich und der Liebling unserer Lehrerin. In Mathe- und Deutschwettbewerben stach ich souverän herraus. Meine Familie fing an all ihre verlorenen Träume in mich zu investieren. Sollte ich der erste Spross dieser Familie werden, der nicht als Friseuse oder Gehilfin irgendwo landet? Ich würde die eben genannten Berufe nie schmälern, es sind nur die Gedanken, die mir entgegengebracht wurden. Allerdings wurde ich nie unterstützt.
Bei Elternsprechtagen ging ich alleine zu meiner Lehrerin, ich sah das Mitleid in ihren Augen und noch heute treibt es mir die Tränen, wenn ich daran denke, wie oft sie mich zu diesen Elternsprechtagen allein empfangen hat und mir jedesmal sagte, wie tapfer ich sei und das aus mir bestimmt mal etwas Einzigartiges wird. Dabei wollte ich nie mehr, als dass meine Mutter einmal von anderen Seiten hört, was ihre Tochter alles kann.
In der 5. und 6. fing ich an mich nichtmehr für den Lehrstoff zu interessieren.
Ich wurde der Klassenclown.
Ich musste das erste mal nachsitzen.
Schon totgeglaubte Teile meiner Familie riefen empört und geschockt an. "Was ist denn nur passiert, dass sie nachsitzen muss? Sie war doch immer so fleissig!" Was niemanden wirklich zu interessieren schien, war der Grund für mein nachsitzen. Es war nicht das rumgekaspere, nicht Unaufmerksamkeit oder schlechte Noten.. Ich hatte bloss verschlafen und bin dann in der Eile ohne Schulrucksack in die Schule gerannt. Zuerst ein riesen Aufhänger zum Lachen, aber die Lehrer vermissten so meine Hausaufgaben und alles was eben nötig war.
Und so kam es, dass ich meine Klassenclown-Seite voll auslebte, bis hin zur 10. Klasse. Meine Mum sagte, ich sei unterfordert und schickte mich zum Japanisch-Unterricht. Nicht schon genug, dass ich freiwillig nachmittags in Lettisch- und Portugiesischkurse ging.
Mein damaliger Klassenlehrer hingegen drohte mir andauernd, meine Akte sei schon handbreit und das würde meine Versetzung in die weiterführende Schule gefährden. Whatever. Er prügelte mir in mein 10. Klasse Zeugnis eine 5 in Mathe. "Puff" - so hörte es sich ungefähr an, als die Träume aller meiner Verwandten zerpflatzten. Mein Opa wollte, dass ich Jura studiere? Oh weh..
Die weiterführende Schule, in der man die 11., 12. und 13. machen kann, hatte halt eine Vorgabe von Noten in den Hauptfächern und eine Wartezeit. Problem war, dass die Schule sich nicht in meinem Landkreis befand und ich an allen Stricken zerren musste um zu dieser elitären Schule zugelassen zu werden. Wenn man dort seinen Abschluss macht und das Abi glänzt, dann kann man ALLES erreichen!
Ich brach noch vor Ende der 11. Klasse ab und ging mit 16 jahren vorerst getrennten Weges von meiner Familie weit weg in den Süden. Zwar hab ich mein Abi mittlerweile gemacht und es ist auch ganz ok, aber die Zeiten waren hart.
Und in all der Zeit war ich nie für meinen Bruder da. Ich habe das Gefühl, seine Entwicklung ist stehen geblieben. Und nun wohne ich in Hamburg und kann nichts tun. Er ist so weit weg, hinter der schützenden Hand seines Vaters.
Wenn es Zeit wird, sich zu entscheiden, welche Ausbildung er machen will.. was soll er werden?
Diese Distanz zwischen ihm und mir lässt mich ausbluten. Ich weiss nichtsmehr von ihm, er ist in meinen Augen nicht erwachsen geworden. Aber vielleicht empfinden grosse Schwestern es immer so und dürfen sich dann überrascht über die doch stattgefundene Entwicklung freuen.
Ich wünsche es ihm so sehr..

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hmmm, Geschwisterliebe mit Hindernissen ist immer etwas besonderes.

Entfernung schmerzt, sie trennt und eigentlich wünscht man sich nur Nähe.

Kenne ich zu gut.

Gestern Abend habe ich meinen kleinen Bruder in den Schlaf gekrault, er sah so friedlich und knuffig aus. Trotz dass nichts schreckliches passiert ist, hatte ich Tränen in den Augen ...

Nochmal eine Trennung von 300 km wäre undenkbar für mich.

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